Jana Chantelau

Heilpraktikerin für Psychotherapie (HeilPRaGe), Lerntherapeutin, Anti-Mobbing-Beraterin und Coach aus Berlin-Prenzlauer Berg.

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E-Mail: info@jana-chantelau.de

Texte deuten

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Aus meiner Sicht gehört das Hohelied der Liebe (1 Kor 13, 1-13) zu den zeitlos-aktuellen Texten der Menschheitsgeschichte.

Denn diese Bibelstelle handelt vom Wesen der Liebe und benennt Eigenschaften eines tiefverwurzelten Gefühls, das sich der Beschreibung, Deutung und Erklärung oft  entzieht. Der biblische Kurz-Abriss veranschaulicht darüber hinaus, wann und wie sich „die Liebe“ aufrichtig zeigt – und wann nicht – welche Formen von Liebe geradlinig und offen heraus gelebt sind – und welche nicht. In den ersten zehn Zeilen sind diese Themen bereits angelegt. In der Einheitsübersetzung lauten sie so:

„Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete,/
hätte aber die Liebe nicht,/
wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. Und wenn ich prophetisch reden könnte/
und alle Geheimnisse wüsste/
und alle Erkenntnis hätte;/
wenn ich alle Glaubenskraft besäße/
und Berge damit versetzen könnte,/
hätte aber die Liebe nicht,/
wäre ich nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte/“


Ich lese darin die Empfehlung heraus, die gesprochene Sprache vom Klang der „inneren Stimme“ zu unterscheiden – also: die eigenen Gedankenzüge vom real greifbaren Wortbeitrag zu differenzieren – selbst wenn das internalisierte Zwiegespräch die wahrhaftige Überzeugung birgt und vom sogeannten „magischen Denken“ geprägt zu sein scheint. Walt Disney hat dieses Phänomen wie folgt formuliert: „If you can dream it, you can do it.“

Trotzdem kommt es letztlich auch in der Liebe darauf an, dass die persönliche Innenwelt mit dem eigenen Verhalten kohärent übereinstimmt. Die Wiederholung des Einschubs „hätte aber die Liebe nicht“ lässt durchblicken, dass die Verbindung zu einem Gegenüber nicht bloß das eigene Selbstbild bestätigt bzw. korrigiert, sondern auch dazu beiträgt, sich selbst in der Welt zu verankern und aus dem eigenen Handeln heraus einen nachhaltigen Sinn zu stiften, statt beispielsweise zum Störenfried zu geraten und eine potentielle Gefahrenquelle für andere darzustellen. Denn gemäß des kommunikationspsychologischen Leitsatzes „Das Ich entsteht im Du“ liegt die persönliche Identität – u.a. – im redensartlichen „Auge des Betrachters.“ Kurzum: Unterschwellig steuert das Gegenüber zur persönlichen Selbstakzeptanz und Profilierung bei. Um diese innere Haltung zu konkretisieren, verdeutlichen die darauffolgenden Zeilen, welche Eigenschaften das Nonplusultra ergeben, sofern man einem anderen Menschen „in der Tat“ liebevoll begegnen will (obgleich die meisten Individuen oft genug daran scheitern):


„und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe,/
hätte aber die Liebe nicht,/
nützte es mir nichts. Die Liebe ist langmütig,/
die Liebe ist gütig./
Sie ereifert sich nicht,/
sie prahlt nicht,/sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig,/
sucht nicht ihren Vorteil,/
lässt sich nicht zum Zorn reizen,/
trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht,/“


Aus diesem Abschnitt lese ich die Empfehlung heraus, das eigene Ichgefühl weder aufzugeben noch sich selbst zu kasteien. Geschweige denn: über sich und andere richten zu wollen – beispielsweise infolge von Zweifeln und Selbstzweifeln, getrieben von Grübeleien, getrieben von negativen Gedanken, aus fehlgeleitetem Ehrgeiz heraus, oder aufgrund von Selbstüberhöhung, bedingt durch Wut und Ungeduld, die wiederum impulsiven Übersprungbewegungen Vorschub leisten können. Wer stattdessen gelassen bleibt und imstande ist, ein angemessenes Maß an Einsicht und Demut zu zeigen, bekommt die Aussicht, die Liebe als mäßigende Kraft zu erleben – als eine Kraft, die wortgeführten Übergriffen vorbeugt, den eigenen Selbstwert wirklichkeitsecht begründet und die „Augenhöhe“ von Mensch zu Mensch zuverlässig bewahrt.

Man „sollte“ sich folglich davor hüten, der Angeberei Hals über Kopf anheimzufallen. Im gleichen Maß gilt auch: die Ungerechtigkeiten und Anmaßungen anderer keineswegs zu bagatellisieren bzw. der Versuchung nachzugeben, die menschlichen Makel des Gegenübers „selbstgerecht“ abzukanzeln und entsprechende Vorhaltungen zu unterbreiten. Im zwischenmenschlichen Miteinander greift nämlich vor allem eines: Nachsicht walten zu lassen – bis hin zum Verzeihen. Damit geht u.a. einher, tolerant zu sein und schlichtweg zu tun, was redensartlich „ein „Gebot der Fairness“ bleibt. Die zweite Hälfte des Textes geht darauf ein, warum die Liebe des Nächsten die Mühen dieser Selbstführung überhaupt wert ist – und sie sogar wett machen wird:

„sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles,/
glaubt alles,/
hofft alles,/
hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf./
Prophetisches Reden hat ein Ende,/
Zungenrede verstummt,/
Erkenntnis vergeht. Denn Stückwerk ist unser Erkennen,/
Stückwerk unser prophetisches Reden; wenn aber das Vollendete kommt,/
vergeht alles Stückwerk. Als ich ein Kind war,/
redete ich wie ein Kind,/“

Die obigen Zeilen besagen u.a., dass sich der Mensch darin beweist, wie er sich verhält – oder auf Dauer nicht mehr verhält. Sie enthalten den grundsätzlichen Appell, positiv zu denken, dem Gegenüber das persönliche Vertrauen zu schenken und dieses Vertrauen zum Trotz widriger Zeiten aufrechtzuerhalten – selbst wenn die Stimme der Vernunft phasenweise dagegen zu sprechen scheint bzw. rationale Zweifel am Gegenüber auftauchen, gemäß des Prinzips: „Intuition schlägt Kopf.“

„dachte wie ein Kind /
und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde,/
legte ich ab, was Kind an mir war. Jetzt schauen wir in einen Spiegel/
und sehen nur rätselhafte Umrisse,/
dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen,/
dann aber werde ich durch und durch erkennen,/
so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;/
doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“


Diese Schlusszeilen stellen heraus, dass das gleichberechtigte und vertrauensbasierte Miteinander zu persönlichem Wachstum führen kann, weil man mit dem „inneren Kind“ mehr und mehr im Einklang steht, und darin die Chance liegt, sich emanzipatorisch, authentisch und selbstbewusst zu behaupten, um aus der urmenschlichen Unsicherheit herauszuwachsen.

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